PTT-Maschinengebäude wird zu Wohngebäude | Orange Architects

2021-12-27 04:32:33 By : Ms. Daisy jiang

Kritik: Anneke Bokern Fotos: Frank Hanswijk, Orange Architects, Ossip van Duivenbode

Die Binnenrotte ist ein lang gestreckter Platz in Rotterdam, der in der Geschichte der Hafenstadt eine wichtige Rolle gespielt hat. Ursprünglich floss hier das Flüsschen Rotte, dessen Mündung in die Maas sich zum allerersten Hafenbecken entwickelte. Entlang beider Ufer der Rotte legten die ersten Bewohner im 13. Jahrhundert Deiche an, auf denen sie ihre Häuser bauten. Um die zwei Bebauungsstreifen zu verbinden, wurde an der Stelle, wo heute die Hoogstraat die Binnenrotte kreuzt, ein Damm in der Rotte angelegt – et voilà: Rotterdam war geboren.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde parallel zur Rotte ein Eisenbahnviadukt errichtet, über das fortan Züge quer durch die Stadt in Richtung der Maasbrücken schnauften. Noch bis 1993 war der heutige Platz deshalb nicht viel mehr als ein Restraum unter dem Viadukt, dem alle Gebäude den Rücken zukehrten. Dann verschwand die Bahn unter der Erde – und mit ihr auch das Flüsschen. Aus der Binnenrotte wurde ein langer, fast komplett versiegelter Platz, die Gebäudeeingänge wanderten auf die Platzseite, es entstanden Restaurantterrassen, und auch ein wenig Grün wurde angepflanzt.

Nur das 1951 an der Ostseite als Maschinengebäude für die Post- und Telefongesellschaft errichtete PTT-Gebäude, blieb eine verlassene Trutzburg aus dunklem Klinker. Eigentlich ist es Teil eines Ensembles: Hinter dem Bau steht ein zweites Gebäude mit identischer Kubatur, in dem früher Büros untergebracht waren. Der Haupteingang des Komplexes lag am parallel zur Binnenrotte verlaufenden Sträßchen Botersloot, während das Maschinengebäude die Rückseite bildete. Dazwischen befand sich ein Lieferhof mit Einfahrt auf der Nordseite.  Nur das 1951 an der Ostseite als Maschinengebäude für die Post- und Telefongesellschaft errichtete PTT-Gebäude, blieb eine verlassene Trutzburg aus dunklem Klinker.

Der PTT-Komplex hat zwar ein Betonskelett, aber auch Satteldächer und sachliche Fassaden aus dunklem Klinker. Der Haupteingang des Bürobaus am Botersloot ist mit einem aufwendigen Natursteinrelief dekoriert. Dagegen blieb der Maschinenbau fast völlig ornamentlos. Über einem Sockel aus Naturstein, der auch die Erdgeschossfenster rahmt, erhoben sich Fassaden aus schrundigem, dunklen Handformklinker. Einziges Ornament waren winzig kleine Zierankersteine mit Kreuzmotiv, die die Position der Geschossböden andeuteten. Im Innern wurde der Bau völlig auf die großen Apparate zugeschnitten, weshalb er nur insgesamt drei je 4,50 m hohe Geschosse umfasste.

Die Gebäude wurden bis 2000 genutzt, dann zog die Firma in ein neues Hochhaus im Süden der Stadt. Während der Bürobau schnell neue Mieter fand, stand das Maschinengebäude seit 2007 leer. Zu seiner Rechten errichtete Hans Kollhoff 2005 ein Wohnhochhaus, zur Linken folgte 2009 ein Anbau von Rapp + Rapp. Ein Vorgängerbau wurde dafür abgerissen und die Einfahrt zum Lieferhof geschlossen. Eine Reihe kleiner, geretteter Natursteinbögen wurden als eigentümliche Spolie vor die neue Garageneinfahrt des PTT-Gebäudes gestellt. Ein Vorgängerbau wurde abgerissen und die Einfahrt zum Lieferhof geschlossen.

Da der Komplex nicht denkmalgeschützt ist, sollte das leer stehende Maschinengebäude lange abgerissen werden – bis Orange Architects von einem privaten Investor mit einer Studie beauftragt wurden. Es galt, die Möglichkeiten eines Umbaus zu Wohnungen zu untersuchen. Daraus ging schließlich der Auftrag zur Konversion des Gebäudes in 20 Studio-Apartments und ein Restaurant hervor. Das von innen isolierte Gebäude mit den relativ dünnen Böden wurde mit einer Trittschalldämmung versehen, die Klinkerfassaden gereinigt,  da ihre Patina jedoch erhalten bleiben sollte nicht auf Hochglanz poliert.  Darüber hinaus musste v. a. mehr Bezug zum Außenraum geschaffen werden, um den Bau bewohnbar zu machen. Zunächst erhielten alle Fenster neue Aluminiumrahmen mit Renovierungsprofilen. 

Im 1. und 2. OG wurde auf der Marktseite jede zweite Fensteröffnung bis auf Bodentiefe vergrößert und in einen französischen Balkon verwandelt. Das Gleiche geschah mit den Fenstern im Sockel, deren Natursteinrahmen – wie an den Schnittstellen noch deutlich abzulesen ist – aufgesägt wurden. Die ehemaligen Fensterbänke haben die Architekten in den Öffnungen wiederverwendet und beinahe unmerklich mit neuen Natursteinplatten kombiniert.

Die Fenster wurden auch im 3. OG zu Balkontüren vergrößert. Ein vor die Fassade gehängter schmaler, durchlaufender Stahlbalkon ragt ein wenig über die ebenfalls mit einigen neuen Fensteröffnungen versehene Stirnseite des Gebäudes hinaus.  Dieser kleine Kunstgriff hat große Wirkung: Er sprengt den Ernst der sachlichen Fassade und wirkt wie ein Aushängeschild für die Transformation. Um die Wohnungen zu erschließen, erhielt das Gebäude einen neuen Haupteingang auf der Marktseite. Ebenso wie den neuen Restauranteingang am anderen Gebäudeende kennzeichnet ihn ein Portal aus dunkelbraunem Stahl, das auf der Fassade aufliegt. Ohnehin sind alle Hinzufügungen an dunkelbraun eloxiertem Metall erkennbar. Ein vor die Fassade gehängter schmaler, durchlaufender Stahlbalkon ragt ein wenig über die ebenfalls mit einigen neuen Fensteröffnungen versehene Stirnseite des Gebäudes hinaus. 

In dieses Farbkonzept reiht sich auch das neue, spiegelglatte Solardach ein, das die Dachpfannen auf der Südwestseite des Daches ersetzt hat. Seine Dachlandschaft wurde aufgeräumt: Ein kleiner Erker mit einer Lieferluke existiert nicht mehr, für die Dachgeschosswohnungen wurden neue Terrassen aus der Dachschräge ausgeschnitten. Betritt man das Gebäude durch den Haupteingang, fällt auf, dass der Foyerboden ein paar Treppenstufen über Straßenniveau liegt. Darunter verlaufen Internetkabel, denn in einem der Keller stehen noch immer Maschinen von PTT. Die Restwärme dieser Maschinen, die Teil des Energiekonzepts ist, wärmt das Warmwasser und die Fußbodenheizung vor. Das Solardach und eine elektrische Wärmepumpe in Kombination dazu, generieren genügend Energie für alle Wohnungen

Zwei roh behauene Betonstützen neben der Eingangstür erzählen im Foyer von der Transformation des Gebäudes. Dahinter haben die Architekten einen neuen vertikalen Schacht für Lift und Treppe angelegt, denn das ursprüngliche Treppenhaus liegt am entgegengesetzten Ende des Gebäudes und dient heute nur noch als Fluchtweg. Eine minimalistisch gestaltete Treppe aus Mahagoniholz steht als separates Objekt im Schacht und erschließt alle vier Stockwerke. Dort befinden sich einseitig zur Binnenrotte orientierte Wohnungen entlang eines Korridors, durch dessen Fenster man auf das (vom Wohnungsbau aus leider nicht zugängliche) begrünte Dach der Parkgarage sieht. Sowohl im Korridor als auch unter der Balkendecke der Wohnungen hängen sichtbare Installationsrohre und sorgen für eine industriell anmutende Atmosphäre. Fast alle Wohnungen umfassen 90 m² und besitzen eine Raumhöhe von 4,50 m. Nur an den Gebäudeenden liegt jeweils ein größerer Sondertyp, und im 4. OG steigen die Decken unter dem Satteldach bis auf eine Höhe von 7 m an.

Wie so oft bei Transformationsprojekten sahen sich die Architekten während des Baus mit einigen Überraschungen konfrontiert. Auch wenn das Gebäude auf den ersten Blick rational wirken mochte, so war es doch auf die darin aufgestellten Maschinen zugeschnitten. Nicht alle Stützen standen genau im Raster, und auch die Geschossböden waren präzise für das spezifische Gewicht der Apparate berechnet. Orange Architects beschlossen, nicht mehr Gewicht zum Gebäude hinzuzufügen als zu entfernen. Auf diese Art waren keine großen Eingriffe in die Statik nötig – und auch das Fundament musste nicht erneuert werden.

Die Hauptqualität der Wohnungen besteht neben deren enormer Deckenhöhe in der grandiosen Aussicht auf die Stadt. Ein Minuspunkt ist das Fehlen eines echten Außenraums. In der Außenansicht geben sich die neuen Eingriffe dank der Beschränkung auf ein einziges Material und eine einzige Farbe zurückhaltend, aber gleichzeitig sind sie als neue architektonische Schicht lesbar. Die erhalten gebliebene rationalistische Backsteinarchitektur musste nur ein klein wenig von ihrem sachlichen Ernst opfern, im sich für die neue Nutzung und zum Binnenrotteplatz hin zu öffnen.

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